Maler Nolten by Mörike Eduard
Autor:Mörike, Eduard
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: (Privatkopie)
veröffentlicht: 2010-02-03T00:00:00+00:00
Frühling läÃt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte,
SüÃe wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land;
Veilchen träumen schon,
Wollen balde kommen;
Horch, von fern ein leiser Harfenton! â â
Frühling, ja du bist's!
Frühling, ja du bist's!
Dich hab ich vernommen!
Die Strophen bezeichneten ganz jene zärtlich aufgeregte Stimmung, womit die neue Jahreszeit den Menschen, und den Genesenden weit inniger als den Gesunden, heimzusuchen pflegt. Eine seltene Heiterkeit belebte das Gespräch der beiden Männer, während ihre Blicke sich fern auf der keimenden Landschaft ergingen. Nie war Nolten so beredt wie heute, nie der Schauspieler so menschlich und liebenswürdig gewesen. Auf einmal stand der Maler auf, sah dem Freunde lang und ernst, wie mit abwesenden Gedanken, ins Gesicht, und sagte dann, indem er seine Hände auf die Schultern des andern legte, im ruhigsten Tone: »Soll ich dir gestehen, Alter, daà dies der glücklichste Tag meines Lebens ist, ja daà mir vorkommt, erst heute fang ich eigentlich zu leben an? Begreife mich aber. Nicht diese erquickende Sonne ist es allein, nicht dieser junge Hauch der Welt und nicht deine belebende Gegenwart. Sieh, das Gefühl, wovon ich rede, lag in der letzten Zeit schon beinahe reif in mir; ich kann nicht sagen, daà es die Folge langer Ãberlegung sei, doch ruht es auf dem klarsten und nüchternsten BewuÃtsein und ist so wahr als ich nur selber wirklich bin. Es hat sich mir in diesen Tagen die Gestalt meiner Vergangenheit, mein inneres und äuÃeres Geschick, von selber wie im Spiegel aufgedrungen und es war das erstemal, daà mir die Bedeutung meines Lebens, von seinen ersten Anfängen an, so unzweideutig vor Augen lag. Auch konnte das und durfte nicht wohl früher sein. Ich muÃte gewisse Zeiträume wie blindlings durchleben, vielleicht geht es mit den folgenden nicht anders und vielleicht ist das bei den meisten Menschen so; aber auf den kurzen Moment, wo die Richtung meiner Bahn sich verändert, wurde mir die Binde abgenommen, ich darf mich frei umschauen, als wie zu eigner Wahl, und freue mich, daÃ, indem eine Gottheit mich führt, ich doch eigentlich nur meines Willens, meines Gedankens mir bewuÃt bin. Die Macht, welche mich nötigt, steht nicht als eigensinniger Treiber unsichtbar hinter mir, sie schwebt vor mir, in mir ist sie, mir deucht, als hätt ich von Ewigkeit her mich mit ihr darüber verständigt, wohin wir zusammen gehen wollen, als wäre mir dieser Plan nur durch die endliche Beschränkung meines Daseins weit aus dem Gedächtnis gerückt worden, und nur zuweilen käme mir mit tiefem Staunen die dunkle wunderbare Erinnerung daran zurück. Der Mensch rollt seinen Wagen wohin es ihm beliebt, aber unter den Rädern dreht sich unmerklich die Kugel, die er befährt. So sehe ich mich jetzt an einem Ziele, wonach ich nie gestrebt hatte, und das ich mir niemals hatte träumen lassen. Vor wenig Wochen noch schien ich so weit davon entfernt! Manches, was mir so lang als notwendige Bedingung meines Glücks, meines vollendeten Wesens erschienen war, was ich mit unglaublicher Leidenschaft genährt und gepflegt hatte, liegt nun wie tote Schale von mir abgefallen; so ist Constanze mir nicht viel mehr als noch ein bloÃer Name, so ist mir schon früher jene Agnes untergesunken.
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